Krüger  A.

Lehrstuhl für Germanische Philologie, DNU

GESPROCHENE SPRACHE UND DAF-UNTERRICHT

Spätestens seit dem Aufkommen der kommunikativen Methode im Fremdsprachenunterricht (FSU) gilt als Hauptziel der Fremdsprachenausbildung die Entwicklung der mündlichen Sprachkompetenz: die Lerner sollen befähigt werden, ihre Sprachkenntnisse praktisch im Zielsprachenland, in unserem Falle den deutschsprachigen Ländern, anzuwenden. Dabei werden jedoch nach wie vor die Normen der geschriebenen Sprache als Grundlage angesehen.

Hier wird die Auffassung vertreten, gesprochene Sprache als authentische Alltagssprache, wie sie in den deutschsprachigen Ländern genutzt wird, ins Zentrum des Unterrichts zu rücken. Alltagssprache darf hierbei nicht mit der Umgangssprache verwechselt werden, deren Anwendungsgebiet noch privater ist.

In der Linguistik wird das Begriffspaar gesprochene vs. geschriebene Sprache präferiert, obwohl es sich beim Untersuchungsgegenstand «gesprochene Sprache » nicht mehr ausschließlich um mündliche Äußerungen handelt. Heutzutage gibt es eine Vielzahl von schriftlichen Textsorten des Alltagslebens, die sich an den Normen der gesprochenen Sprache orientieren, z.B. SMS, die Sprache in Chats, Sozialen Netzwerken usw. Die Dichotomie geschriebene/ gesprochene Sprache ist nicht ganz treffend, denn sie ist nicht eindeutig an Schriftlichkeit und Mündlichkeit gekoppelt.

Trotz der begrifflichen Ungenauigkeit wird hier der Terminus gesprochene Sprache übernommen und meint den mündlichen bzw. schriftlichen Sprachgebrauch im nicht-öffentlichen Bereich. Geschriebene Sprache umfasst demzufolge schriftliche Textsorten im öffentlichen Kontext.

Der Trennung gesprochene vs. geschriebene Sprache liegt die Annahme zugrunde, dass beide Erscheinungsformen auf unterschiedlichen Regelsystemen beruhen. Die Systeme unterscheiden sich in fast allen linguistischen Teilbereichen, d.h. die gesprochene Sprache folgt u.a. in der Syntax, in der Lexik als auch in der Semantik anderen Gesetzen.

Nicht alle Linguisten teilen diese Meinung, sie akzeptieren die Grammatik der geschriebenen Sprache als alleinige und sprechen lediglich von Abweichungen in der gesprochenen Sprache. In den meisten Fällen stufen sie einen anderen Sprachgebrauch als fehlerhaft und falsch ein. Bezogen auf den FSU hieße dies, die Lerner nur mit den Regeln der geschriebenen Sprache vertraut zu machen und von ihnen zu verlangen, diese ausnahmslos auch beim Sprechen anzuwenden.

Wir sprechen uns ganz entschieden gegen diese Auffassung aus: spätestens seit der kommunikativen Wende im FSU, seit der die erfolgreiche mündliche Kom ­mu ­nikation das oberste Ziel ist, wirkt die Präferenz der offiziellen Schriftsprache veraltet . Zwar sind wir durch die rasante technologische Entwicklung und die Omnipräsenz der Medien fast überall von schriftlichen Texten umgeben und das Schreiben, ehemals ein Privileg des öffentlichen Raums, ist auch zu einem wichtigen Bestandteil des Alltags geworden. Doch wie bereits erwähnt wurde, überwiegen in der schriftlichen Alltagskommunikation die Normen der gesprochenen Sprache. Lehrbuchdialoge, die sich nach den Regeln der geschriebenen Sprache richten, sind weitab von authentischer Kommunikation.

Die Aufwertung der gesprochenen Sprache findet ihre Bestätigung durch die Aufnahme eines eigenen Kapitels zu diesem Thema in einschlägigen Grammatiken wie der Duden-Grammatik oder der «Grammatik der deutschen Sprache».

Wie soll man nun aber Lernern des Deutschen als Fremdsprache Strukturen der mündlichen Sprache vermitteln?

Unserer Meinung nach müssen die Lerner als ersten Schritt begreifen, dass geschriebene und gesprochene Sprache zwei unterschiedliche Systeme sind, die in unterschiedlichen Kontexten Anwendung finden.

Um die Lerner nicht zu überfordern und ihnen das Gefühl zu geben, sie müssten «doppelt Deutsch» lernen, empfehlen wir den Einsatz gesprochener Sprache zunächst passiv, d.h. die Lerner hören so früh wie möglich authentische Sprache im Unterricht. Bemerken die Lerner Abweichungen von den Regeln, die sie bisher gelernt haben, kann der Lehrer auf einen anderen Sprachgebrauch beim Sprechen hinweisen.

Haben die Lerner bereits ein fortgeschrittenes Niveau, können ihnen im Unterricht die Normen der gesprochenen Sprache eher kognitiv auf dem Fundament der bereits erlernten Gesetzmäßigkeiten der geschriebenen Sprache nähergebracht werden. Dieses Vorgehen sollte unbedingt Teil des Sprachunterrichts für Germanisten sein.

Dazu kann man über eine Behandlung verschiedener authentischer mündlicher Äußerungen und Dialoge sowie Textsorten des Alltags zu den wichtigsten Merkmalen der gesprochenen deutschen Sprache gelangen. Die Lerner sollten sich Wissen über syntaktische (Verbzweitstellung nach Subjunktionen, Wortstellung), lexikalische (Varietäten, Interjektionen, Modalpartikeln) sowie phonetische Besonderheiten (Abschleifungen) aneignen. Oftmals wird man dazu Transkriptionen von gesprochener Sprache zu Hilfe nehmen müssen, um die Merkmale der flüchtigen mündlichen Kommunikation anschaulich zu machen. Die Behandlung des Themenbereichs «gesprochene Sprache» im Sprachunterricht bei Germanisten kann man mit der Vermittlung von Grundlagen der linguistischen Pragmatik verbinden, z.B. der Sprechakttheorie oder des Sprecherwechsels.

An Deutschlehrer stellen diese Forderungen hohe Ansprüche: sie müssen im Prinzip deutschsprachige Muttersprachler sein oder zumindest das Deutsche auf muttersprachlichem Niveau beherrschen. Da dies nicht der Realität entspricht, leisten z.B. Datenbanken authentischer Gespräche im Internet dabei Hilfestellung. Eine empfehlenswerte Datenbank ist «Gesprochenes Deutsch für die Auslandsgermanistik» von der Universität Münster, die authentische Alltagsdialoge als Audiodateien mit Transkriptionen für Deutschlehrer kostenlos zur Verfügung stellt. Die Datenbank enthält des Weiteren Lehreinheiten, die anhand der gegebenen Audiobeispiele einzelne Problemfelder der gesprochenen Sprache erläutert und Hintergrundwissen bietet.

Die Lerner sollen in erster Linie vermittelt bekommen, dass der mündliche Sprachgebrauch keinen fehlerhaften Sprachgebrauch darstellt – er gibt lediglich den tatsächlichen deutschsprachigen Alltag wieder. Inwieweit die Lerner sich diesen Sprachgebrauch selbst aktiv aneignen sollten, ist eine schwierige Frage: ein Sächsisch sprechender Ukrainer ruft wohl eher Lachen hervor, der Gebrauch von syntaktischen oder phonetischen Besonderheiten sollte aber gefördert werden. Die Korrektur mündlicher Beiträge der Lerner im DaF-Unterricht sollte sich an den Regeln des authentischen mündlichen Sprachgebrauchs orientieren.

Abschließend möchten wir die Notwendigkeit betonen, Konzepte zu entwickeln, die die Beschäftigung mit der authentischen gesprochenen Sprache nicht als abget ­renn ­ten Teil im DaF-Unterricht verstehen, sondern in sämtliche Unterrichtsbereiche integrieren.